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Entwicklung der Dialekte in Bayern

Entstehung der Dialekträume

Sprache ist kein festes System, sondern vollzieht sich in ständig neuer Variation. Somit ist Sprache permanentem Wandel unterzogen und verändert sich je nach Personen, Situationen, Handlungszielen, den sozialen, kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Umgebungsbedingungen in der jeweiligen Zeit ganz unterschiedlich. Menschen, die regelmäßig miteinander kommunizieren, in Austausch und Kontakt stehen, gleichen sich in ihrer Weise zu sprechen aneinander an. Findet andererseits über lange Zeiträume kein Kontakt mehr statt, so entwickeln sich ihre Sprachen allmählich auseinander.

Bis nach der sog. Völkerwanderung waren die sprachlichen Unterschiede im deutschsprachigen Raum relativ gering. Eine Schrift gab es noch lange nicht, auch später wurde noch viele Jahrhunderte fast nur in Klöstern geschrieben und zwar auf lateinisch.

Die in den Jahrhunderten nach der Sesshaftwerdung entstehenden Herrschaftsgebiete und (zunächst kleinsten) Kommunikationsräume waren maßgeblich für die Herausbildung unserer heutigen Dialekträume.Als Dialekträume bezeichnet man Regionen, in denen ähnlich gesprochen wird. Diese Vorstellungen von Räumen werden dann z. B. mit Rieserisch, Allgäuerisch, Oberpfälzisch etc. bezeichnet. Auf großräumigster Ebene bediente man sich für die Dialekte in Bayern den im 19. Jahrhundert populär gewordenen Konzepten von den drei Stämmen der Baiern, Franken und Alemannen.

Generell tragen folgende Faktoren zur Herausbildung bzw. Stabilisierung von Dialekträumen bei:

  • Geographie: Gebirge, Gewässer und Moore bilden natürliche Schranken, die schwer zu überwinden waren/sind. Oft findet man somit hier auch Dialektgrenzen. Als Beispiel sei der Spessart genannt, der das Fränkische vom Hessischen scheidet.
  • Besiedlung: Die Geographie beeinflusste natürlich auch die Besiedlung. Am Rennsteig beispielsweise treffen thüringische und fränkische Siedlungen aufeinander: Nördlich – in der Gegend von Ludwigsstadt – spricht man daher nach wie vor Thüringisch, im südlicheren Landkreis Kronach dagegen Fränkisch.
  • Handel: Entscheidend für den Kontakt zwischen Menschen ist, wo sie kaufen und verkaufen, wo sie also Handel treiben und miteinander sprechen, ein entscheidender Faktor für die Entwicklung der Dialekte.
  • Kirchliche Struktur: Ins Geschäft kam man früher oft nach dem Besuch der Messe am Sonntagmorgen. Überhaupt spielte es eine große Rolle für die Begegnung von Menschen, wohin man sonntags zur Kirche ging. Im Bistum Augsburg wurde beispielsweise die Bezeichnung „Aftermontag“ (in Lautungen wie „Aftrmäta“)  zur Vermeidung des heidnischen „Dienstag“ eingeführt. Die Verbreitung dieses Dialektausdrucks deckt sich nahezu vollkommen mit dem Gebiet der Diözese Augsburg.
  • Landesherrschaft seit dem Hochmittelalter und Konfessionalität: Besonders stark konnte eine geistliche Obrigkeit natürlich auf ihre Bevölkerung einwirken, wenn sie gleichzeitig auch das weltliche Regiment innehatte. Seit dem 16. Jahrhundert bestimmten die Landesherren über die Konfession ihrer Untertanen; somit enstanden recht homogene Konfessionsgebiete und der intensive menschliche Kontakt zwischen Nachbarn unterschiedlicher Konfessionen war eingeschränkt. Ein prominentes Beispiel ist innerhalb des Fränkischen die Dialektgrenze innerhalb Oberfrankens zwischen dem katholischen Gebiet des ehemaligen Hochstifts (=Fürstbistums) Bamberg und dem östlicher gelegenen evangelischen Raum des ehemaligen Markgraftums Brandenburg-Bayreuth.

Neuere Entwicklungstendenzen der Dialekte in Bayern

Sprachen bzw. Dialekte ändern sich ständig. Die Veränderungen betreffen vor allem den Wortschatz, zeigen sich aber auch in Grammatik und Lautung sowie in der (Nicht-)Verwendung von Dialekt. 

Wörter geraten außer Gebrauch, weil die Gegenstände oder Handlungen, die sie bezeichnen, nicht mehr verwendet bzw. getätigt werden. So dürfte nur noch wenigen der Begriff „Kumpf“, Wetzsteinbehälter, geläufig sein. Kaum jemand mäht noch mit der Sense und wetzt deren Klinge an einem Stein, den er mit sich führt.

Immerzu werden aber auch neue Wörter in eine Sprache aufgenommen, insbesondere, wenn neue Erscheinungen und Gegenstände und damit einhergehend neue Tätigkeiten entstehen. Zur Bezeichnung neuerer Phänomene werden aber nur sehr selten neue Dialektausdrücke erdacht und verwendet. Es gibt keine dialektalen Bezeichungen für ‚Internet‘, Smartphone‘, ‚chatten‘ etc., ja noch nicht einmal für ‚Auto‘, ‚Radio‘ oder ‚Zentralheizung‘.

Im Bereich der Grammatik zeigt sich, dass Dialekte in manchen Aspekten in der allgemeinen Entwicklung der deutschen Sprache konservativer, in den meisten aber progressiver sind. Generell tendieren die indoeuropäischen Sprachen dazu, immer weniger über Flexion und immer mehr über Syntax zu funktionieren. Man spricht von einem Übergang von synthetischer zu analytischer Sprache. Wortendungen, die beispielsweise Kasus ausdrücken, werden abgebaut, der Satzbau dementsprechend starrer, denn die Funktion der einzelnen Wörter muss aus ihrer Stellung im Satz entnommen werden, wenn man sie nicht an ihrer Endung erkennen kann.

Progressiver bzw. weiter fortgeschritten in dieser Entwicklung als die Standdardsprache sind die Dialekte beispielsweise im Abbau des Dativs. Während es im Standarddeutschen heißt: „Ich gebe den Kühen noch Futter“, lautet das Pendant in einem bayerischen Dialekt: „Ich gebe die Kühe noch ein Futter“ (z. B. „I geb die Kiah no a Fuatter“). Konservativer sind die Dialekte zum Beispiel im Erhalten fossilierter Genitive: „Ich hobberer nuch zwaa“ („Ich habe ihrer (= davon) noch zwei“).

Es ist nicht allgemein geklärt, warum sich Aussprachen in manchen Gegenden bzw. in den dort gesprochenen Mundarten so, in anderen jedoch anders entwickeln. Warum spricht man in weiten Teilen Frankens „Kuh“ genauso aus wie im Standarddeutschen, während man vor allem in der Oberpfalz „Kouh“ sagt und insbesondere in Schwaben und Altbayern „Kuah“?

Eine relativ große Rolle für die Veränderung von Sprache spielt das Prestige von Varietäten. In Bayern hat das Mittelbayerische in seiner zentraloberbayerischen Ausprägung das höchste Prestige. Dementsprechend kann man beobachten, dass nicht nur einzelne Wörter, sondern auch lautliche Erscheinungen aus diesem Raum in Nachbarräume ausstrahlen. Beispielsweise hört man in der südlichen Oberpfalz immer häufiger den Falldiphthong „ua“ anstelle des alten Steigdiphthongs „ou“ wie in „Bua“ statt „Bou“ (Bub), und das „s“ vor „t“ im In- und Auslaut wird im Westen Oberbayerns häufiger nicht mehr wie im Schwäbischen als „sch“ gesprochen, z. B. in „fast“ anstelle von „fascht“.

In München selbst manifestiert sich dagegen in großem Stil Dialektabbau. In der Stadt und ihrer unmittelbareen Umgebung hört man kaum mehr einheimischen Dialekt. Diese Tendenz zum Dialektabbau findet sich auch in anderen Großstädten, wenn auch in geringerem Umfang.

Auf dem Land halten sich – nicht zuletzt aufgrund geringeren Zuzugs – die Mundarten besser. Hier zeigt sich ein Abbau einzelner Ortsdialakte. Dialektunterschiede nehmen ab, es bleiben regionale Varietäten erkennbar, weshalb man auch von Regionalisierung spricht.

Verfasser/in: Dr. Edith Burkhart-Funk, Dr. Steffen Arzberger

Literatur: Manfred Renn / Werner König: Kleiner Bayerischer Sprachatlas. 2. Auflage München 2006